Es scheint, als sei die Fähigkeit zuzuhören leise verschwunden – irgendwo zwischen Kurznachrichten, doppelter Geschwindigkeit beim Abhören von Sprachnachrichten oder Anschauen von Videos, Eilmeldungen, Kommentarfeldern und der Jagd nach der schnellsten Meinung.
Ich frage mich in letzter Zeit des Öfteren, wie viele Gespräche eigentlich nur noch Parallelmonologe sind. Jeder spricht, jeder sendet – aber wer hört eigentlich noch wirklich hin?
Zuhören wird heute fast behandelt wie ein Anachronismus – so als würde man noch mit Wählscheiben-Telefonen kommunizieren… Zuhören braucht Zeit, Geduld, eine gewisse Bereitschaft zur Selbstzurücknahme. Und genau das passt nicht mehr in unsere durchgetakteten, auf Effizienz getrimmten Lebensstile.
Aber es geht nicht nur um Geschwindigkeit. Es geht auch um den Ton – und um die Art, wie wir miteinander sprechen.
Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun beschreibt acht verschiedene Kommunikationsstile. Viele davon haben eines gemeinsam: Sie verhindern echtes Zuhören – sei es durch Überheblichkeit, Selbstinszenierung oder auch durch vorschnelle Deutung.
Einen davon habe ich für diesen Artikel exemplarisch ausgesucht, weil er mir immer häufiger begegnet: den „aggressiv-entwertenden“. Dieser Stil stellt nicht nur keine echten Fragen, sondern gibt in seiner Art bereits die Antwort vor – und oft auch gleich das Urteil. Er hört oft nur zu, um abzuwerten – und lässt keinen Raum für echtes Verständnis.
Dabei ist dieser Stil nicht zwangsläufig Ausdruck von Bosheit.
Oft steckt dahinter Unsicherheit, ein innerer Schutzmechanismus – oder die Gewohnheit, in Diskussionen schnell Position zu beziehen.
Doch das macht ihn nicht weniger verletzend. Er begegnet uns in subtilen wie offenen Formen – gönnerhaft, herablassend, belehrend, herabsetzend, ironisch…
- „Das darfst Du nicht so eng sehen…“
- „Ach, Du bist auch so eine…“
- „Ich erklär’s Dir nochmal, damit Du’s auch verstehst.“
- „Dafür fehlt Dir der Überblick.“
Das ist kein Dialog. Das ist verbale Selbstprofilierung.
Und das ist keine Kommunikation auf Augenhöhe – aber die braucht es für ein produktives und zielführendes Miteinander. Genau wie bewusstes Zuhören.
Wir sprechen oft von „Zuhören“, obwohl wir in Wirklichkeit nur warten, bis wir wieder an der Reihe sind.
Manchmal ist es sogar noch schlimmer: Wir hören gar nicht zu, wir sammeln Munition. Während der andere redet, suchen wir bereits das nächste Argument, den besten Konter, die elegante Wendung, die uns wieder in die geistige Oberhand bringt.
Das hat nichts mit echtem Zuhören zu tun.
Zuhören heißt nicht, einfach still zu sein, bis ich wieder reden darf.
Zuhören heißt: wirklich da zu sein. Bei meinem Gegenüber. Mit Interesse, mit Offenheit – mit der Bereitschaft, vielleicht auch etwas nicht sofort zu verstehen. Und das auch offen zuzugeben und noch einmal genauer nachzufragen.
Denn echtes Zuhören verändert etwas. Es schafft eine andere Qualität von Kontakt. Manchmal wird aus einem festgefahrenen Gespräch plötzlich eine echte Begegnung – einfach, weil jemand sich wirklich gehört fühlt. Weil er nicht verbal in die Defensive gedrängt wird, indem ihn der andere mit Worten „erschlägt“.
Zuhören öffnet Türen, die sonst verschlossen blieben – und lässt uns Wege erkennen, von denen wir nicht einmal wussten, dass sie existieren.
Zuhören klingt einfach. Aber es ist nicht immer unbedingt bequem. Denn wer wirklich zuhört, muss aushalten können, dass der eigene Standpunkt gerade nicht im Mittelpunkt steht. Dass man vielleicht nicht sofort eine Antwort hat. Dass etwas gesagt wird, das nachwirkt – oder sich ein bisschen anfühlt wie Sand im Getriebe.
Und das passt nicht gut in eine Zeit, in der viele Dinge gleichzeitig passieren müssen, Meinungen schnell das Format einer Schlagzeile annehmen und Kommunikation oft zur Bühne geworden ist.
Wer am lautesten spricht, bekommt die meiste Aufmerksamkeit. Wer zögert, verliert. Und wer fragt, wirkt vermeintlich schwach. Wer zurückhaltend ist und erst denkt, bevor er spricht, gilt oft als begriffsstutzig.
Statt „Wie meinst Du das?“ hören wir viel öfter ein „Das ist doch völliger Quatsch.“
Statt ehrlichem Interesse : (vor)schnelle Interpretation.
Statt neutraler Offenheit: Bewertung.
Dazu kommt etwas, das ich immer wieder beobachte – und da nehme ich mich selbst gar nicht aus:
In Momenten, in denen wir uns innerlich nicht sicher fühlen, greifen wir schneller zum Schutzschild. Und das Schutzschild der heutigen Zeit heißt oft: Besserwissen. Ironie. Überlegenheit.
Wir machen uns größer, um nicht klein zu wirken (oder uns zu fühlen).
Wir reden, um uns selbst zu beruhigen. Doch wer so spricht, hat oft längst aufgehört zuzuhören.
Was wäre, wenn Zuhören keine verlorene Kunst wäre – sondern eine Entscheidung?
Eine Haltung, mit der wir einem anderen Menschen begegnen.
Nicht um zu antworten, nicht um zu beeindrucken, nicht um zu gewinnen.
Sondern einfach, um da zu sein. Mit offenem Ohr, offenem Herzen – und ohne festen Plan, wohin das Gespräch führen muss.
Zuhören beginnt nicht im Ohr, sondern in der Haltung.
Es braucht Präsenz. Neugier. Und manchmal auch Mut – weil wir nicht wissen, was kommt.
Und weil wir lernen müssen, nicht gleich zu reagieren. Sondern erst mal da zu sein und da zu bleiben. Dem anderen das Gefühl zu vermitteln, gemeint zu sein.
Wenn wir diese Haltung kultivieren – bewusst, geduldig, vielleicht auch erst mal unbeholfen – dann verändert sich nicht nur unser Gespräch. Es verändert sich unser Miteinander.
Zuhören braucht wieder mehr Raum in unserem Leben. Nicht als Technik. Nicht als Höflichkeitsform. Sondern als Haltung, die Begegnung möglich macht – selbst dann, wenn wir ganz unterschiedlicher Meinung sind.
Denn zuhören heißt nicht, alles gutzuheißen.
Es heißt: Ich bin bereit, Dich zu sehen – auch wenn ich Dich (noch) nicht verstehe.
Es heißt: Ich nehme mir einen Moment, in dem nicht ich im Mittelpunkt stehe.
Und manchmal reicht genau das schon, damit sich etwas bewegt.
Wir müssen das nicht perfekt machen. Wir dürfen üben. Immer wieder.
Und vielleicht fängt es ganz leise an – in einem Gespräch heute Abend, in einer Nachricht, die wir nicht sofort beantworten, einem Video, das wir nicht gedankenlos liken.
Oder einfach im stillen Zuhören nach innen. Denn auch wir selbst haben uns etwas zu sagen, wir müssen uns selber nur hören wollen… 🌱
Und dann beginnt Verbindung.






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