Wenn ich erzähle, dass ich kurz in den Garten gehe und mir Löwenzahn, Giersch und Brennnesseln fürs Abendessen einsammle, dann ernte ich meistens ziemlich irritierte Blicke. Dann folgen Sätze wie: „Das ist doch Unkraut“, „Na, ob das gesund ist“ oder „Das schmeckt doch nicht“…
Als hätte ich gerade zugegeben, dass ich heimlich Moos von Mauern knabbere…😉
Dabei geht es um kleine grüne Pflanzen, die direkt vor unserer Nase wachsen – ungefragt, wild und voller Leben. Wildkräuter, die oft übersehen oder sogar bekämpft werden, obwohl sie voller wertvoller Inhaltsstoffe stecken. Viele von ihnen haben mehr Nährstoffe als manches Superfood, das wir teuer im Laden kaufen. Und das völlig kostenlos.
Also – warum nicht einfach mal den Blickwinkel ändern? 🌱
Ist das denn wirklich „Un“kraut?
Wir bezeichnen als „Unkraut“ gerne alles, was dort wächst, wo wir es nicht haben wollen – vor allem in unseren durchgeplanten, gestylten Gärten. Dabei ist das ja schon ein wenig kurios: Wir mühen uns ab, Pflanzen an genau den Stellen anzusiedeln, an denen sie eigentlich gar nicht wachsen wollen – mit viel Wasser, Dünger und Aufwand. Und gleichzeitig reißen wir genau das heraus, was sich dort von Natur aus wohlfühlt. Was, wenn wir den Spieß einfach mal umdrehen? Wenn wir hinschauen, was da eigentlich wächst – und warum? Vielleicht zeigt uns die Natur damit genau, was dieser Ort (und unser Körper…) gerade braucht.
Wer entscheidet eigentlich, was als „Unkraut“ gilt? Dass beispielsweise das Blatt von einem Feldsalat essbar ist und das Blatt eines Gänseblümchens nicht (übrigens nicht weniger lecker)?Allein das kleine Wörtchen „Un“ verrät schon, wie sehr wir in Bewertungen denken. Es macht aus einem Kraut etwas Unerwünschtes – als wäre sein einziger Fehler, zur falschen Zeit am falschen Ort zu wachsen. Das „Un“ sagt: Du gehörst hier nicht hin. Dabei ist die Pflanze doch immer noch dieselbe – nur unser Blick hat sich verschoben. Vielleicht ist es Zeit, das „Un“ zu streichen und den Blick für das zu schärfen, was diese Pflanzen wirklich sind: starke, widerstandsfähige Kraftpakete. und den Blick für das zu schärfen, was diese Pflanzen wirklich sind: starke, widerstandsfähige Kraftpakete. 😎
Wildkräuter brauchen keinen Dünger, keine Pflege, keinen perfekten Standort. Sie trotzen Wind, Trockenheit, Konkurrenz – echte Überlebenskünstler. Und genau das spiegelt sich auch in ihren Inhaltsstoffen wider. Viele dieser sekundären Pflanzenstoffe, Bitterstoffe und Antioxidantien entstehen genau deshalb: aus dem Leben in Freiheit.
„Wild“ bedeutet nicht „schmeckt nicht“
„Das schmeckt doch unangenehm!“ – höre ich oft. Ja, Wildkräuter haben Charakter. Manche sind mild, andere bitter, einige fast scharf. Vogelmiere zum Beispiel ist zart und frisch, Giersch intensiv und grün. Der Geschmack ist ungewohnt, aber nicht unangenehm – er ist einfach anders. Und das darf er auch sein. Schließlich scheiden sich auch an gewohnten Gemüsen Rucola, Spargel oder Rosenkohl die Geister – auch sie alle haben ihren eigenen, unverwechselbaren Geschmack.
Und an dieser Stelle mal nur nebenbei, aber auf mehr Rezepte dürft Ihr Euch freuen: Brennnessel-Risotto – irre lecker… 💕
Wildkräuter machen achtsam
Beim Sammeln passiert etwas Besonderes: Du wirst langsamer. Du schaust genauer hin. Du beginnst, zu unterscheiden. Die Welt um Dich herum bekommt plötzlich wieder Kontur. Du entschleunigst. Das ist Achtsamkeit, ganz ohne App. Jeder Spaziergang wird zur kleinen Schatzsuche.
Schönheit ist bekanntlich nicht alles…
Unsere Kulturpflanzen sind wahre Meisterwerke der Landwirtschaft – gezüchtet auf Ertrag, Aussehen, Lagerfähigkeit. Aber sie wurden oft auf Masse optimiert, nicht auf Inhalt. Studien zeigen: Viele Gemüse enthalten heute deutlich weniger Nährstoffe als noch vor wenigen Jahrzehnten. In unserer Vorliebe für gefällige, alltagstaugliche Geschmäcker sind viele Inhaltsstoffe buchstäblich auf der Strecke geblieben. Ein Beispiel: die Bitterstoffe – früher in vielen Gemüsesorten ganz natürlich enthalten (Chicoree, Radicchio) – wurden gezielt herausgezüchtet. Warum? Weil sie nicht jedem schmecken. Weil sie als „anstrengend“ für den Gaumen gelten. Und weil mild, süßlich und neutral sich einfach besser verkaufen.
Doch gerade diese Bitterstoffe sind es, die unseren Körper unterstützen: Sie fördern die Verdauung, aktivieren Leber und Galle und wirken entzündungshemmend. In Wildkräutern sind sie noch da – genau wie viele andere wertvolle Stoffe, die wir im Supermarktgemüse heute kaum noch finden. Dafür mehr Wasser, mehr Volumen, mehr Ertrag.
Wildkräuter dagegen mussten nie gefallen. Sie haben sich ihren Standort selbst gesucht und mussten überleben. Deshalb stecken sie voller Kraftstoffe – nicht sichtbar, aber spürbar.
💧 Die einen sind voller Wasser, damit sie groß und saftig wirken.
🌱 Die anderen sind voller Wirkstoffe, damit sie bestehen können.
Zwei Meisterwerke: Landwirtschaft & Natur
Ich finde es spannend, wie unterschiedlich diese zwei Welten sind:
Unsere Kulturpflanzen sind mit Sorgfalt gezüchtet – ein Meisterwerk der Landwirtschaft. Planbar, zuverlässig, schön.
Wildkräuter dagegen sind das Meisterwerk der Natur. Frei, ungezähmt, anpassungsfähig. Kein Mensch hat sie geformt – sie sind einfach da.
Auch qualitativ hochwertiges Kulturgemüse aus nachhaltigem Anbau hat seinen großen Wert und ist aus unserer Ernährung nicht wegzudenken. Doch ergänzend dürfen gerade die Wilden wieder neu entdeckt werden –
Aus Wild wurde Kult
Viele unserer heutigen Gemüsesorten stammen von wilden Vorfahren ab:
- Rucola – einst Wilde Rauke
- Feldsalat – gezüchtet aus der Wildform
- Karotte – stammt von der wilden Möhre ab, die sich von Frühjahr bis Herbst überall findet
- Hafer, Gerste, Weizen – sie alle waren einst unscheinbare Wildgräser
- Zwiebel, Schnittlauch – aus wilden Formen entstanden, die beliebteste ist gerade wieder in aller Munde: der Bärlauch
- Mangold, Rote Bete – vom Seemangold abgeleitet
- Kartoffel – die Urform wuchs wild in Südamerika
Selbst Brokkoli, Rosenkohl, Blumenkohl und Grünkohl stammen alle vom Wildkohl ab. Wilde Erdbeeren sind kleiner, aber aromatischer. Und auch Mais war einst ein unscheinbares Wildgras.
Was früher wild war, ist heute Kult. Und was heute noch wild ist, könnte bald wieder Kult werden – wenn wir es zulassen.
Wildkräuter sind eine Einladung
Wildkräuter sind keine Spinnerei. Sie sind eine Einladung – zur Rückverbindung mit der Natur, zur Achtsamkeit im Alltag und zu einer neuen Wertschätzung für das, was direkt vor unseren Füßen wächst.
Vielleicht ein bisschen wilder. Aber ganz sicher echter.





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